„Triage“ – Schreckensbild nur bei der Covid-19-Pandemie?
Triage – Was tun, wenn das Krankenhaus nicht für alle reicht?
Dem EAK Krefeld ist es zu Wahlkampfzeiten gelungen, gleich zwei Bundestagsabgeordnete zur Teilnahme an seiner Veranstaltung zu dem bewegenden Thema „Triage“, dem Umgang mit knappen medizinischen Kapazitäten bei massenhaftem Bedarf, zu gewinnen. Kerstin Radomski und Ansgar Heveling saßen neben dem EAK-Kreisvorsitzenden, Guntram Teichgräber, und dem Ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Krefeld, Dr. Ulrich Lenssen, auf dem Podium im Gemeindezentrum der Krefelder Brüdergemeinde, wo der EAK zum wiederholten Male zu Gast sein durfte.
Nachdem Teichgräber die zahlreich erschienenen Sonntagsnachmittagsbesucher, darunter auch zwei Landtagsabgeordnete, durch die Erinnerung an Bilder aus Italien zur Zeit des dortigen Ausbruchs der Corona-Pandemie auf das Thema eingestimmt hatte, stellte Dr. Lenssen den Bezug zu jedem einzelnen her: Als junger Arzt sei er zu einem schweren Unfall durch einen Geisterfahrer auf der Autobahn gerufen worden. Bei seiner Ankunft habe er sich allein 25 mehr oder weniger schwer verletzten Menschen gegenüber gesehen. Was tun? Wo beginnen? In einer solchen Situation könnten sich Minuten bis zum Eintreffen weiterer Rettungskräfte wie Stunden dehnen, meinte der Notfallmediziner.
In eine entsprechende Lage können aber nicht nur Ärzte kommen, setzte er hinzu: Bei einem schweren Verkehrsunfall an einem Fußgängerüberweg oder einer Bushaltestelle könne auch jeder der Anwesenden plötzlich zu entscheiden haben, wem er wie noch helfen könne – und wem nicht mehr. Lenssens Maxime: Es kommt darauf an, möglichst viele überleben zu lassen! Dafür seien sachbe-zogene Entscheidungen nötig, unabhängig von persönlichen Gefühlen – selbst, wenn nahe Angehörige, Kinder, hilfsbedürftige oder alte Menschen unter den Opfern sind.
In Bezug auf Covid-19 hätten – ungeachtet der großen Zahl der im Laufe der Zeit aufgetretenen „Experten“ – zunächst auch die Ärzte vor einer ihnen fachlich unbekannten Herausforderung gestan-den. Erst durch erfolgte Behandlungen seien anfängliche Fehler korrigiert und die aussichtsreichsten Strategien erkannt worden.
Mittlerweile hat sich das Bild, das wir von der Krankheit haben, deutlich gewandelt. Dazu beigetragen haben auch die Gelder, die der Deutsche Bundestag in der Pandemie Wissenschaftlern und Unter-nehmen für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt hat. Auf diesen Erfolg deutscher Finanz- und Forschungspolitik wies Kerstin Radomski als Mitglied des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages mit einigem Stolz hin. Allerdings lägen die Zuständigkeiten für die Gesundheitsversor-gung überwiegend bei den Ländern und Gemeinden. Da habe Armin Laschets Landesregierung in NRW schon einen guten Job gemacht, meinte die Abgeordnete.
Ansgar Heveling erläuterte den verfassungsrechtlichen Rahmen, in dem die Entscheidungen über die Priorität von Behandlungen getroffen werden müssen: Eine Abwägung „Leben gegen Leben“ ist nach rechtlichen Maßstäben nicht möglich, habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz festgestellt. Die konkrete Entscheidung nach medizinischen Maßstäben kann dem behandelnden Arzt kein Gericht abnehmen. Heveling erläuterte: Die sachgerechte, nach fachlichen Maßstäben getroffene Entscheidung für und gegen die Behandlung zweier Patienten dürfe nicht „rechtfertigend“, sondern nur „entschuldigend“ verstanden werden. Hinter der strafrechtlichen Dimension wurde hier auch die theologische erkennbar.
In der mit etlichen Beiträgen aus dem Publikum geführten Diskussion ging es neben verschiedenen anderen Fragen auch um die erforderlichen Pflegekräfte. Probleme bei deren Anstellung ließen sich nicht allein mit der Höhe der Bezahlung bewältigen. Dabei käme es vielmehr auf kreative Lösungen an wie die Freistellung von Personal für den Notfalleinsatz aus anderen Verwendungen, die Anwerbung von Schwestern und Pflegern in anderen Ländern und deren sprachliche Qualifizierung. Kerstin Radomski wies aber auch auf die Wichtigkeit seelsorgerischer Betreuung von Notfallkräften nach traumatisierenden Einsätzen und einen wertschätzenden Umgang mit den in der Pflege arbeitenden Menschen hin. Auf kritische Fragen zum Stand des Rettungswesens in Deutschland entgegnete Dr. Lenssen, im internationalen Vergleich habe Deutschland auf diesem Gebiet eine Spitzenstellung inne – eine Anerkennung von einem Fachmann, über die man sich auch einmal freuen könne, meinte dazu Teichgräber als Moderator.
Trotz großer Erkenntnis- und Behandlungsfortschritte bleiben medizinethische Probleme indes bestehen: Sollen bekennende Impfgegner und Coronaleugner behandelt werden, wenn sie selbst erkranken? Ist das Alter eines Patienten ein relevantes Auswahlkriterium? Die Antworten lassen sich gefühlsmäßig nicht immer mit Bestimmtheit geben. Ein Blick auf die Behandlung von Soldaten – auch feindlicher – im Krieg und in das Grundgesetz kann helfen: Die Würde des Menschen ist für alle gleich, hob Heveling hervor – unabhängig von Alter oder Gesinnung. Wie es die Landesdelegiertenver-sammlung des EAK NRW 2020 formuliert hatte, meinten jedoch auch die Referenten: Die politische Aufgabe besteht darin, die Entstehung von Triagesituationen durch Vorsorgemaßnahmen nach Möglichkeit zu verhindern.