Organspende: Zustimmung oder Widerspruch?
Der Krefelder EAK startete die Amtszeit seines neugewählten Kreisvorstands mit einer wohlvorbereiteten Diskussionsveranstaltung zu einer ebenso schwierigen wie aktuellen ethischen Frage: der Neuregelung der Organspende in Deutschland. Thilo Forkel, neugewählter Stellvertretender Vorsitzender, hatte das Gemeindezentrum der evangelisch-freikirchlichen Brüdergemeinde als Veranstaltungsort organisieren können; der gleichfalls neugewählte EAK-Kreisvorsitzende, Guntram Teichgräber, übernahm die Moderation. Als Experten saßen neben ihm Ansgar Heveling, CDU-Bundestagsabgeordneter, und Dr. Dilek Gürsoy, Herzchirurgin, auf dem Podium.
Guntram Teichgräber führte in die Begrifflichkeit ein: Eine (reine) „Zustimmungslösung“ liegt vor, wenn Organe nur nach vorheriger Einwilligung des Spenders entnommen werden dürfen. Können hilfsweise auch die nächsten Angehörigen ihre Zustimmung erklären, sofern der Sterbende oder Verstorbene sich nicht selbst zu dieser Frage geäußert hat, spricht man von einer „erweiterten Zustimmungslösung“. Eine „Widerspruchslösung“ liegt dagegen vor, sofern jeder Verstorbene vom Staat per Gesetz zu einem potentiellen Spender erklärt wird, dem jedoch das Recht zusteht, gegen diesen Status seinen Widerspruch einzulegen. Als „doppelte Widerspruchslösung“ wird eine Regelung bezeichnet, bei der neben dem potentiellen Spender auch dessen Angehörige einer Organentnahme noch rechtswirksam widersprechen können.
Auf dieser Basis erläuterte Ansgar Heveling: Die heutige Rechtslage in Deutschland ist relativ neu, grundsätzlich erst 1997 eingeführt und 2012 noch einmal leicht verändert. Sie beruht auf dem „Hirntod“ als Kriterium für den Todeszeitpunkt eines Menschen, wie er sich seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts bis heute allgemein durchgesetzt hat und in der gegenwärtigen Debatte nicht in Frage gestellt wird. Die „erweiterte Zustimmungsregelung“, die derzeit in Deutschland gilt, findet, wie Heveling ausführte, in der Mehrzahl der EU-Mitgliedsstaaten keine Anwendung. In 20 von 28 Ländern gilt vielmehr eine Widerspruchslösung.
In vorsichtig-abwägenden Worten erläuterte Heveling die beiden in Form von „Gruppenanträgen“ zur Beratung vorgelegten Gesetzentwürfe zur Fortentwicklung der Rechtslage in Deutschland. Für die Position von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spreche die klare Basis, die mit einer Widerspruchsregelung geschaffen werde, nach der jedem medizinisch geeignet erscheinenden Sterbenden bei Eintritt des Hirntodes Organe entnommen werden könnten. Die gegenteilige Auffassung, zu deren Vertretern neben Bundesgesundheitsminister a.D. Hermann Gröhe auch Heveling zählt, geht davon aus, dass der Staat über den Körper eines Menschen kein Verfügungsrecht hat. Heveling erläuterte: Für ihn als Christen und Christlichen Demokraten im Deutschen Bundestag sei es ein Akt der Nächstenliebe, persönlich zur Hilfe bereit zu sein, wie er es – ebenso wie Guntram Teichgräber – durch seinen eigenen Organspendeausweis dokumentieren konnte. Aber wenn für die Verabreichung jeder Spritze die Zustimmung eines Patienten – in der Regel durch das Aufsuchen des Arztes aus seinem Verhalten abgeleitet – vorliegen müsse und unsere Rechtsordnung „Schweigen“ grundsätzlich nicht als „Zustimmung“ anerkennt: Kann dann für die Organentnahme das Gegenteil gelten?
Dr. Dilek Gürsoy trat dafür ein. Sie tat dies aus der medizinischen Praxiserfahrung heraus, in der sie in großer Zahl Spender, deren hinterbliebene Angehörige und die Empfänger von Spenderorganen kennengelernt hat. Sie nannte Zahlen, um die es gehe: 300 Herzen würden in Deutschland pro Jahr transplantiert. 700 Patienten stünden auf der Warteliste. 500 kämen jährlich hinzu. Der Bedarf an Spenderorganen könne auf dem bisherigen Wege nicht befriedigt werden.
Die Entscheidung über eine Organentnahme müsse heute in einer hochgradig emotionalisierten Situation getroffen werden. Das stelle eine besondere Belastung für alle Beteiligten dar. Eine Neuregelung nach der Widerspruchslösung könne für Ärzte wie für Angehörige eine einfache Entlastung schaffen. Bei der zu Lebzeiten erforderlichen Auseinandersetzung mit der Frage, ob man einer Organentnahme nach dem eigenen Hirntod widersprechen wolle, sollte sich indes jeder Bürger mit beiden Seiten auseinandersetzen: der Spender- aber ebenso auch der Empfängerseite. So stellt sich bei einer Verneinung der Spendenbereitschaft die Frage, ob dieser Mensch im Falle einer entsprechenden, schweren Erkrankung denn auch auf den Empfang fremder Organe zu verzichten bereit wäre.
Gürsoys Statement war kürzer, aber sie bekam etliche Fragen aus dem Publikum gestellt: Kann man auch in höherem Alter noch Spender sein? Schließen Vorerkrankungen eine Organspende aus? Wie sind die Abläufe in der Klinik bei Einlieferung, zur Feststellung eines Hirntodes, zur Entscheidung über eine Organentnahme und bei deren Durchführung? Können die Angehörigen von dem Verstorbenen noch Abschied nehmen, wenn ihm Organe entnommen worden sind? Auf alle diese medizinisch-technischen Fragen wußte die Expertin eine Antwort. Dem Vorhalt, dass es vor einigen Jahren in Göttingen zu strafrechtlich relevantem Fehlverhalten von Ärzten im Bereich der Transplantationsmedizin gekommen sei, begegnete sie mit Bedauern über den eingetretenen Rückschlag für die Transplantationsmedizin in Deutschland, einem Hinweis auf die ethischen Standards und Praktiken in den ihr bekannten Kliniken sowie auf den Hippokratischen Eid aller Ärzte, der aber den Missbrauch eben nicht hatte verhindern können.
Ansgar Heveling kam in der Diskussion erst später ins Spiel. Wie könnte eine faire Vorbereitung der individuellen Entscheidung aussehen, wenn die Krankenkassen einseitig-werbende Darstellungen verbreiten? Wie sind die Entscheidungsabläufe im Deutschen Bundestag? Wie verhält sich ein Abgeordneter, wenn er aus seinem Wahlkreis Nachrichten über eine andere Stimmungslage erhält, als seiner eigenen Überzeugung entspricht? Auch für diese Aspekte zeigte sich, dass ein Fachmann auf dem Podium saß, der im Falle eines Dissenses zwischen seinem Wählerschaft und ihm selbst allerdings nur hoffen konnte, dass man seine begründete Überzeugung respektiere, auch wenn man sie nicht teile.
Beide Protagonisten zeigten sich erfreut über die vom EAK gebotene Gelegenheit, das Problem mit Publikum diskutieren zu können. Die Veranstaltungsteilnehmer konnten eine Aussprache auf hohem Niveau mit fairem Austausch der Argumente bei gegenseitigem persönlichen Respekt der Beteiligten erleben. Das war anders als bei manchen emotionalisierten Fernsehsendungen, aber der Sache dienlich und höchst angemessen.